Der in Baden – Baden geborene Installationskünstler und Bildhauer Thomas Woll, studierte zunächst an der Freien Kunstakademie in Nürtingen Malerei/ Grafik. Anschließend an der Staatlichen Akademie der bildenden Künste in Karlsruhe, der Kunstakademie Düsseldorf im Studiengang Bildhauerei und Fotografie.
Kennzeichnend für seine künstlerische Praxis, sind temporär, konzeptuell orientierte Rauminstallationen. Sie entstehen meist, in einem prozessualen Akt der Intervention in bestehende Raumstrukturen. Oft gänzlich Okkupiert, ergänzt er die Realität des Ortes um unbekannte Dimensionen. Seine künstlerische Arbeit, bewegt sich im Kontext von Kunst, Architektur, Technik und Natur und steht für eine andere, weniger stereotype und unterdrückende Zukunft.

                                                                                                                                                                                                                                                          


Frank Thorsten Moll 2024      Von Echokammern, Bewohnbarkeit und der Vielheit des Raumes


Die wahrhaft revolutionären künstlerischen Projekte – so heißt es in der Kunstgeschichte -waren immer vor allem eines – neue Konzepte von Raum und Zeit. So oder so ähnlich könnte eine Kurzusammenfassung allen künstlerischen Schaffens seit Ende des 20. Jahrhunderts lauten. Die Säule der Unendlichkeit von Constantin Brâncuși aus dem Jahr 1938, Yves Kleins Sprung in die Leere am 27. November 1960 oder Bruce Naumanns Atelierbegehungen, wie zum Beispiel
Walking in an Exaggerated Manner Around the Perimeter of a Square (1968) sind solche Werke, die Raum und Zeit und damit auch die Vorstellung von Kunst maßgeblich veränderten. Im deutschsprachigen Raum haben sich vor allem zwei Philosophen mit diesen Verwebungen von Zeit und Raum auseinandergesetzt. Martin Heidegger und er sich immer wieder auf ihn beziehende Peter Sloterdijk. Beiden ist klar, dass überall dort wo man Kunst als ein Ereignis in
Raum und Zeit versteht, ist sie eine mit Gesellschaft und Kultur verwobene Dimensionen, die weder konstant noch unveränderlich ist. Für beide ist das Wohnen Ausgangspunkt ihres Nachdenkens über die Konstitution des Raums. Wohnen verstehen sie als einen Prozess, in dem sich Menschen zusammen mit anderen Menschen und Dingen zu bestimmten Zeitpunkten auf der Erdoberfläche einrichten. Gesellschaften sind für Sloterdijk als „Räume-Vielheiten“ und
„Prozess-Vielheiten“ zu verstehen, die ähnlich wie Immunsysteme funktionieren, also sich durch die Annahme und die Ablehnung von Raumvorschlägen weiterentwickeln, so wie ein Organismus sich durch Immunreaktionen zu einem besseren entwickelt.1 Ein Kunstwerk kann demnach als ein Raumvorschlag verstanden werden, darum benutzt die Kunstkritik auch immer wieder die Floskel vom Kunstwerk, das im Idealfall durch seine vielfältigen Potenziale
„ungeahnte Räume“ öffnet. In Sloterdijks Überlegungen steht fest, dass die frühen Menschen durch ihre Weltoffenheit und
damit verbunden mit dem Erkennen von den Funktionsweisen der Erde lernten, sich den Gefahren zu widersetzen, denen sie unentwegt ausgesetzt sind. Das grundlegende Prinzip, um den Gefahren zu begegnen, ist die Einübung erfolgreicher Überlebensstrategien und deren Routinisierung. Die aus der Gefahrenabwehr entstehenden Systeme nennt er Immunsysteme. Neben dem biologischen Immunsystem identifiziert er zwei Immunsysteme, die er als kulturelle
Leistungen der Menschen sieht: die sozio-immunologischen Praktiken im Bereich des sozialen Miteinanders und die psycho-immunologischen Praktiken im Bereich des Symbolischen. Für unseren Kontext ist die psycho-immunologische Praxis von größerer Relevanz. Mir kommt es so vor, als wolle der in Düsseldorf lebende Künstler Thomas Woll uns die Funktionsweisen dieser psycho-immunologischen Abwehrpraxis im Bereich des Symbolischen immer wieder vor Augen führen und deren Akzeptanz austesten. Anders gesagt: Wolls Arbeiten sind als eine Herausforderung für unsere Immunsysteme konzipiert, indem sie die beiden
Paradigmen der sogenannten Hypermoderne – die auf der Entgrenzung von Orts- und Zeitgrenzen basieren – auf die Spitze treiben. Passend dazu beschrieb Dr. Emmanuel Mir Woll‘s Skulpturen als „idiosynkratische Lesart des Raums“ die nicht ortsspezifisch, sondern vielmehr „eine eigene, selbstbezogene Welt, eine glatte und rätselhafte Zukunftsvision mit technoiden und futuristischen Ansätzen, verankert in unserem kollektiven SF-Gedächtnis“ darstellen“. Thomas
Woll selbst sieht seine Kunst eher als eine Reflexion über, als eine Herausforderung von. Als Künstler richte er seine Aufmerksamkeit auf die sich rasant verändernde Lebenswirklichkeit, die von den bekannten Parametern von Raum und Zeit und den digitalen Sphären bestimmt seien.
1 Vgl. Einfuhrung_Die_ungeheuerliche_Raumphilosophie_von_.pdf Die Menschen bewegten sich laut Woll in beiden Welten: Die eine abgeschritten in den
bekannten Dimensionen von Raum und Zeit, die andere erbaut aus dimensionslosen Pixeln. In seiner Kunst erforsche er die Durchdringung der physischen Realität durch die neue, digitale Wirklichkeit.
Doch zurück zu Wolls Skulpturen, deren Kommentarfunktion über den digitalen Raum zwar nachvollziehbar, aber immer eher subtil funktioniert. Zugegebenermaßen drängen sich bei der Betrachtung seiner Arbeiten häufig dystopische Assoziationen auf. Die Idee von Wohnkapseln,
die von Aliens behaust werden, oder Raumgefährten, die sich durch einen menschenleeren Orbit bewegen sind nie ganz von der Hand zu weisen. Diese Bildwelten sind das Einfallstor des Digitalen, da sie als Ergebnisse einer cineastischen Bildgebungsindustrie, unsere Wahrnehmung bereits so stark infiltriert hat, dass unser Denken, Fühlen und Sehen gar nicht mehr ohne deren Referenz funktioniert. Sind wir Teil einer Simulation? Sehen wir, was wir sehen? Thomas Woll schafft Räume, die diese Fragen auf uns zurückwerfen. Sie sind Echokammern, die uns die Vielheit und die unaufhaltsame Durchdringung von realen und digitalen Räumen vor Augen  führt.


Kay von Keitz  2024        MacGuffins


Die MacGuffins des Thomas WollEs dürfte kaum überraschen, dass die Rauminstallationen von Thomas Woll bei vielen Menschen Assoziationen an die Erschaffung von Filmwelten evozieren. Wer jemals die Gelegenheit hatte, ein im Studio erbautes Filmset zu besichtigen oder an der Herstellung
eines solchen selbst beteiligt war, wird sich beim Besuch eines Woll‘schen Environments unweigerlich daran erinnert fühlen. Den Eindruck von naturalistischer Mimikry und zugleich artifizieller „Gemachtheit“, den seine architektonischen und technoiden Objekte und Raumelemente erzeugen, lassen an eine handwerklich perfekt gestaltete Kulisse denken. Das allerdings wirft bei jenen, die sich darin bewegen, zwangsläufig die Frage auf, für welche szenische Aktivität und inszenatorische Absicht oder für welchen performativen Zweck seine begehbaren Bilder wohl gestaltet wurden. Und darüber hinaus: Gibt es eine Decodierung für
die enigmatischen Konnotationen und Verweise, für das Symbolartige und Zeichenhafte? Beziehungsweise: Gibt es hier überhaupt etwas zu entschlüsseln, zu enträtseln oder zu übersetzen? 

Einige fundamentale Fragen, die durch dreidimensionale Werke in der Kunst immer wieder an uns gerichtet werden, erfahren in den Arbeiten von Thomas Woll eine besondere Zuspitzung: Was ist Skulptur? Was ist Architektur? Was ist Raum? Und wie vertrauenswürdig sind unsere Sinneseindrücke und deren scheinbar simultane kognitive Verarbeitung? Wie belastbar oder auch zweifelhaft sind unsere mit der Wahrnehmung aufs engste verwobenen Interpretationsleistungen, ohne die wir nicht einmal einfachste Tätigkeiten, geschweige denn komplexe Kommunikationsaufgaben bewältigen könnten? Die sich immer nur in Teilen
erschließende Konstruktion seiner Raumwelten wird dabei zu einer ästhetisch erfahrbaren Metapher für die Konstruiertheit unserer Vorstellung von Realität und unseren im Grunde doch recht begrenzten Möglichkeiten darüber zu kommunizieren. Es scheint, als würde Woll uns in noch unbespielte Bühnenbilder schicken, die sowohl von Beckett wie von Wittgenstein, aber auch von den erkenntnistheoretischen Positionen des Radikalen Konstruktivismus inspiriert sind. (3

Die Räume von Thomas Woll zeigen besonders eindrücklich, dass Immersionserfahrungen gerade in den Künsten nichts mit Digitalität oder bestimmten medialen Bedingungen zu tun haben, sondern mit unserer Wahrnehmungshaltung, mit unseren Assoziationen und Vorstellungen, unserem Fühlen und Denken. Denn ganz gleich, welche Sinne aktiviert werden, ob die Auslöser dafür analog oder digital sind, ob dabei mit oder ohne MacGuffins gearbeitet wird, das Eintauchen findet doch letztlich immer im Kopf statt.






© All rights reserved
Using Format